#1 PERFORMING THE BMC ARCHIVE: HFBK DRESDEN – Skizzen zum Besuch der Performances

Reading situation of "PERFORMING the Black Mountain ARCHIVE" at the Black Mountain exhibition at Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin. Courtesy: Anne Steinhagen

Reading situation of “PERFORMING the Black Mountain ARCHIVE” by Arnold Dreyblatt (right) at the Black Mountain exhibition at Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin. Courtesy: Anne Steinhagen

Freitag, 19.06.15
Vormittags

Wortfetzen

Die Worte  “three mornings weekly” ertönen wiederholt in regelmäßigen Abständen und lassen erste Vermutungen über die Art des vorgetragenen Textes zu.
Ein unterbrochener Fluss an Worten, monoton, staccato-artig und fast schon maschinell gelesen, füllt den Raum. Wir sitzen nur wenige Meter neben dem Rezitierenden auf der selben Stufe der Holztribüne. Irritierte Augen mustern nicht nur den Vortragenden, sondern auch uns. Durch unsere Position und unsere Teilnahme an der Performance wirken wir fast selber wie Puzzleteile dieser. Zumindest erfahren wir in diesem Augenblick mehr Aufmerksamkeit, als die neben uns ausgestellten Arbeiten von Josef Albers.
Eine Museumsmitarbeiterin in der gegenüberliegenden Ecke schmunzelt.
Was passiert hier? Welcher Inhalt füllt den Raum?
Zunächst: Verwirrung. Zeitdruck, die immense Geschwindigkeit der Worte, die an uns vorbeirattern zwingen uns zu höchster Aufmerksamkeit. Die roboterartige Vortragsweise verstärkt den Eindruck, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Textlesung handelt. Schlagwörter werden besonders betont: Sculpture. Architecture. Basic Design. Advertising. Typography. Künstlernamen. Three mornings weekly…
Sie heften sich als Wortfetzen an unser Gedächtnis.
Im anschließenden Gespräch mit dem Studenten erfahren wir, worum es sich wirklich bei seinem Vortrag handelt: Es ist das Programm des Art Institute von 1945.
Was das Verpacken von Worten auf individuelle Art und Weise ausmachen kann. Wie das Hängen von Materialien oder das Kleiden eines Körpers, setzt es einen Gegenstand in Szene und lässt hier, in unserem Falle, einen Text zur Performance werden.

(Sophie, Henrike)

Samstag, 20.06.15
Nachmittags

Arbeitsplätze

Während ich mein Lauschen zielstrebig zu richten versuche, mich frage, ob ich Fragmente von Texten vernehmen kann, durchquere ich schnell den Raum. Wo sind sie, die Performenden? Indes mein Blick schweift, mein Atem ungehalten laut in der Luft pulsiert, ich an den flanierenden Ausstellungsbesuchern vorüber ziehe, denke ich über mein sonst so ungerichtetes Verhalten in Ausstellungen nach, welches ich gerade durchbreche: Die Zeit eines durchschnittlichen Ausstellungsbesuchs gliedert sich meist zu drei Vierteln in „Rezeptionszeit“, zu einem Viertel in Zeit, die in Bewegung in die Zwischenräume investiert wird (am Weg von einem Bild zum nächsten, Zick-Zack, etc.). Gibt es eine Intuition, die der Raum der Institution vorgibt? Dann, schließlich, finde ich drei Studierende der Klasse Prof. Brandmeier bei der Arbeit hinter einer Absperrungsbanderole, am (Kopf-)Ende der Ausstellungshalle. Und es verhält sich mit ihrer Zeiteinteilung ähnlich, wie gerade beschrieben, sodass sie die meiste Zeit intensiv konzentriert an ihren Arbeitsplätzen sich aufhalten, um dann in Time-Brackets Archivtexte in der Ausstellung zu performen. Sie schaffen in ihrer Bewegung neue Räume und restrukturieren den gegebenen Ausstellungskontext mit akustisch übermittelter Information. Wir führen ein anregendes Gespräch über die Frage, ob es gut gewesen wäre, noch mehr Archivmaterial in die Ausstellung zu integrieren und dadurch ‚dauerhaft‘ zugänglich zu machen. Die von Arnold Dreyblatt komponierte Partitur der Performances, sieht jeweils sehr kurze Zeitspannen für die Präsentation des Black Mountain Archivmaterials vor, der Zeitrest der Studierenden wird in die Planungsarbeit einer Performance investiert, die kommenden Samstag am 27.6. nachmittags stattfinden wird.
Ich darf mir die Zeichenblätter besehen, die mit Entwürfen prall gefüllt von der Wand blicken, zudem den Plan begutachten, der den zeitlichen Ablauf der Beiträge zu “Performing the Black Mountain Archive” regelt. Kann man eine Performance koordinieren und planen? Wie schreibt sich eine derart gestaltete Praxis in den musealen Raum ein? Zwei Fragen, die sich mir vielleicht bei der nächsten ‘geplanten Performance’ erschließen werden.

(Anna)

Samstag, 20.06.15
Nachmittags

Ausstellungschoreografie

Die Ausstellungsarchitektur der Black Mountain Ausstellung in der Kleihues-Halle des Hamburger Bahnhofs erlaubt den Ausstellungsbesucher_innen an verschiedenen Stationen Platz zu nehmen und zu verweilen. Dies ist laut Kurator_innen explizit erwünscht und von den Architekten_innen des raumlabors in Form von hölzernen Podesten, Treppen und Plattformen ermöglicht worden.

Installation View of the exhibition "Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957" at Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin, Opening Night (04.06.15)

Installation View of the exhibition “Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957” at Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, Opening Night (04.06.15)

Dieses wirbelsäulenfreundliche Raumexperiment erlaubt dem Ausstellungspublikum nicht nur eine willkommene Form der Regeneration, sondern auch eine ungewohnte und äußerst spannende Form der Rezeption. Zwar steht das unausgesprochene museale Schweigegebot verbalen Interaktionen mit anderen Besucher_innen entgegen, doch werden durch das Innehalten und Beobachten intersubjektive Beziehungen erlebbar. Die Ausstellung bekommt eine gewisse Theatralität und erscheint sogar als Choreografie, setzt man sich die Kopfhörer auf, die an einigen der Sitzflächen zugänglich sind. Untermalt vom Danse Macabre von John Evarts (dt. Erstaufführung 1975), einem Black Mountain Komponisten, werden Ausstellungsbesucher_innen plötzlich zu Tänzer_innen, wird die Ausstellungsarchitektur plötzlich zum Bühnenbild. Ein Herr des Sicherheitspersonals läuft in einer sich immer gleich wiederholenden Zirkelbewegung von links nach rechts durchs Bild. Ein Zeitexperiment? Form und Struktur?
Waren Struktur, Form, Methode und Material nicht auch bedeutende Einheiten im Werk John Cages? Saß sich das Publikum des Untitled Event nicht auch gegenüber? Da hingen die White Paintings von Rauschenberg, dazu wurde Satie gespielt, Merce Cunningham tanzte. Ein Raum wurde geöffnet für die Einkehr des Zufalls. (1)
Dann setzen die Streicher beim Danse Macabre aus, ein Besucher hat seinen Beutel auf dem Rücken, der Gang des Sicherheitsmanns beschleunigt sich, die Form ist unterbrochen ein kurzer Dialog, zwei Frauen halten inne und schauen, der Besucher nimmt den Beutel in die Hand, errötet, entschuldigt sich, die Streicher setzen wieder ein, dazu Holz, der Sicherheitsmann nimmt seine gewohnte Bahn wieder auf, ein Untitled Event, von dem später einmal nur Augenzeugen berichten werden. Die Möglichkeit, die Ausstellung auf diese Weise zu beobachten, erlaubt es, aus der klassischen Subjekt-Objekt-Beziehung auszutreten und die Ereignisse im Raum als Ganzes wahrzunehmen. Auf diese Weise wird die Ausstellung an sich erfahrbar und nicht nur Kunstwerke, Exponate und Beschreibungstexte.

(Christopher)

Ein Artikel von Sophie Boysen, Anna-Maria Fiala, Christopher Ramm und Henrike Simm

Teilnehmende StudentInnen der Lehrveranstaltung “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” (Sommersemester 2015) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin

1 Vgl. John Cage, Für die Vögel, Merve Verlag, Köln 1984, S.29